Deutsche in Polen – Provinz Posen

Polen wurde in drei Teilungen 1772 bis 1795 als eigenständiger Staat vollständig beseitigt und die bisher in diesem Gebiet lebenden Bewohner wurden Staatsbürger von Russland, Preußen und Österreich. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstand Polen als Staat wieder. Durch den Vertrag von Versailles erhielt Polen einige Gebiete, die zuletzt zum Deutschen Reich gehörten, so die Provinzen Posen, Westpreußen und Teile Oberschlesiens. Deutsche Staatsangehörige in diesen Regionen, die nun auf dem Gebiet des neuen polnischen Staates lagen, konnten nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages innerhalb gewisser Fristen zwischen deutscher und polnischer Staatsangehörigkeit wählen, wenn sie vor 1908 zugezogen waren. Eine Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit bedeutete in der Regel die erzwungene Auswanderung.

Eine Revision der Bestimmungen des Versailler Vertrages war insbesondere in Bezug auf die Grenze zu Polen eine dauerhaft bestehende Forderung innerhalb der Weimarer Republik und zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Überfall auf Polen am 1. September 1939 sollte dies lösen und gleichzeitig die deutsche Einflusssphäre vergrößern. Damit einher gingen Bemühungen einen Teil der Bevölkerung in den besetzten Teilen Polens nach Möglichkeit als deutsche Staatsbürger zu gewinnen. Das Instrument für diese Bestrebungen war die Deutsche Volksliste (DVL). Diese teilte die Bevölkerung in Bevölkerungsgruppen unterschiedlicher Rechte ein. Wer in die DVL aufgenommen wurde, erhielt je nach Einstufung in eine von vier Gruppen die deutsche Staatsangehörigkeit bzw. ein späteres Anrecht auf sie. In oft diskriminierenden Verfahren wurden bei Anträgen auf Eintrag in die Deutsche Volksliste vor allem das politische Verhalten vor dem deutschen Überfall auf Polen 1939 und die ethnische Abstammung überprüft.

Die DVL wurde am 28. Oktober 1939 zunächst im sogenannten Reichsgau Posen, dem späteren Wartheland, durch eine Verordnung des dortigen Reichsstatthalters Arthur Greiser begründet. Auf Grund der Anordnung des Reichsführers SS Heinrich Himmler als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums vom 12. September 1940 erschien die Verordnung über die Deutsche Volksliste und die deutsche Staatsangehörigkeit in den eingegliederten Ostgebieten vom 4. März 1941 im Reichsgesetzblatt I, Nr. 25, S. 118.

Die Bevölkerung wurde durch die DVL in folgende vier Abteilungen eingeteilt:

  • Volksliste 1: Menschen, die vor dem Krieg in Organisationen der deutschen Minderheiten organisiert waren.
  • Volksliste 2: Menschen, die an deutscher Sprache und Kultur festgehalten hatten.
  • Volksliste 3: Menschen, die angeblich deutscher Abstammung waren oder aber Kaschuben, Masuren und Schlonsaken, die nicht Mitglieder polnischer politischer Organisationen gewesen waren.
  • Volksliste 4: Menschen, die sich selbst als Polen betrachteten.

Für alle galt deutsches Recht, aber jede Abteilung erhielt abgestufte Rechte und Privilegien, von der Lebensmittelzuteilung der Gesundheitsversorgung bis zur Bildung.

Im Wartheland wurden die Selektionskriterien bis zur deutschen Niederlage 1945 relativ restriktiv gehandhabt. Nur ein Anteil von ca. 10 % der einheimischen Bevölkerung sollte dort in die DVL aufgenommen werden. Die DVL des Warthelandes von 1939 hatte nicht die Funktion, Nicht-Deutsche für das „deutsche Volkstum“ zu gewinnen, sondern die Aufgabe, ethnische Polen und solche ethnischen Deutschen auszugrenzen, die keine Deutschen im nationalsozialistischen Sinne sein wollten. Im Gegensatz zu den anderen Gebieten stimmte hier der Reichsstatthalter und Gauleiter Arthur Greiser auch einer rassistischen Selektion des größten Teils der Personen in den Abteilungen 3 und 4 der DVL zu, sodass etwa 60.000 Menschen durch die sogenannten Eignungsprüfer des Rasse- und Siedlungshauptamtes der SS „gemustert“ wurden.

Nach dem Krieg bewertete die Volksrepublik Polen zunächst Menschen, die in der DVL eingetragen waren, als Kollaborateure, was nicht selten Haft oder Vertreibung zur Folge hatte. Da polnische Politiker ab Herbst 1945 immer stärker überzeugt waren, dass zahlreiche DVL-Angehörige gerade der Gruppen 3 und 4 zwangsweise in die Liste eingeschrieben worden waren, wurde die Nationalität Betroffener in Rehabilitationsverfahren geprüft und entweder die polnische Staatsbürgerschaft verliehen oder die Deutschen vertrieben. Die Bundesrepublik Deutschland bot denjenigen, die in der DVL eingetragen waren, und deren Nachkommen das Recht an, als Aussiedler aufgenommen zu werden.

Für den Kreis Kolmar gibt es ebenso wie für die Kreise Berent, Bromberg und Graudenz eine Sondersituation, denn die ersten erstellten Volkslisten stammen aus dem Jahr 1934 (AP Poznań, Namiestnik Rzeszy w Okręgu Kraju Warty-Poznań, zesp. 53/299/0/1.28/1152/1) Auf dem Tielblatt steht „Einwohnerverzeichnis, zusammengestellt und herausgegeben vom Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA.) auf Grund der freiwilligen Bestandsaufnahme des Deutschtums in Polen vom Jahr 1934“. Die vorhandene Akte ist Band 1 der Bestandsaufnahme, sie umfasst 39 Gemeinden von Adolfsheim bis Knarrhütte und enthält die mit Schreibmaschine geschriebenen Listen zu den einzelnen Gemeinden.

Die Geschichte des VDA beginnt 1881, als die Berliner Ortsgruppe des 1880 in Wien gegründeten Deutschen Schulvereins im Jahre 1881 sich als selbständiger Dachverband für 50 deutsche Gruppen etablierte. Er verstand sich als Schutzorganisation für Deutsche auf der ganzen Welt, gründete und unterstützte deutsche Schulen, Kindergärten und Bibliotheken. Im Jahr 1908 in Verein für das Deutschtum im Ausland umbenannt, reihte er sich nach 1919 in den Kreis deutschvölkischer Bewegungen ein, welche die Revision der Gebietsabtretungen des Versailler Vertrages als Ziel hatten. Mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes wurde mit allen Mitteln um den Erhalt des sogenannten Auslandsdeutschtums gerungen. Mit der Wahl Hans Steinachers im April 1933 setzte sich der Einfluss nationalsozialistischer Volkstumspolitik innerhalb des Vereins durch. So kam es eben auch zur Erfassung der deutschen Bevölkerung in verschiedenen Gebieten Polens.

 

Berlin, im November 2023.
Andreas Rösler

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Quellen:

  • Martin Broszat: Nationalsozialistische Polenpolitik 1939–1945. Berlin 2010.
  • Tammo Luther: Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933–1938. Die Auslandsdeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozialisten (Historische Mitteilungen, Beiheft 55). Stuttgart 2004.
  • Thomas Urban: Deutsche in Polen. Geschichte und Gegenwart einer Minderheit. München 1993.

 



















 


 

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