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Schon zu preußischer Zeit und nach 1816 machten sich in dem weiträumigen Gebiet um Pilica Schwaben ansässig. In Kanstadt (Kąty) gesellten sich ihnen weitere schwäbische Siedler hinzu. In der Gonziger Schwabeninsel siedelten fast 400 Menschen. Aus den Weichselkolonien übersiedelten Niederunger in den Pilicaer Raum, die 25 deutsch-evangelische Siedlungen schufen und damit den Grundstock der künftigen Gemeinde bildeten. In ihnen wohnte etwa die Hälfte aller Evangelischen dieses Gebietes, dem die beiden Flüsse Pilica und Weichsel ihr besonderes Gepräge gaben, aber auch die Ortschaften voneinander trennten, was ihre Einheitlichkeit und Geschlossenheit behinderte. Dies zeigte sich vor allem im Winter und im Frühjahr, als der Verkehr — da keine Fähre auf der Pilica, keine Brücken und auch keine Wegeverbindungen in südlicher Richtung vorhanden waren — praktisch fast zum Erliegen kam.
Die Fürstin Marie von Württemberg, die Tochter des Feldmarschalls Fürst U. Czartoryiski, lernte die schöne Uferlage des Dorfes Pilica auf ihren zahlreichen Reisen von Warschau nach Puławy, der Residenz ihres Vaters, kennen. 1819 erwarb sie für 100 000 Zł die Besitzungen Pilica. Sie ließ bald darauf ein Schloß mit sich anschließendem Park anlegen. Als 1823 ihr Vater im hohen Alter von 90 Jahren starb, stiftete sie 1826 seinem Andenken eine Kirche. Eine schwarze Marmortafel im Altarraum der Gedächtniskirche gibt hiervon Kunde. Als Patriotin unterstützte die Fürstin von Württemberg den polnischen Aufstand 1830-1831, wodurch sie den Unwillen des Kaisers Nikolaus I. erregte. Dieser befahl im Jahr 1832 die Güter Pilica an ihren in russischen Diensten stehenden Sohn, den General-Adjutanten Prinz Adam von Württemberg, zu übereignen. Dieser Akt erregte den Unwillen des damaligen Wojewodschaftsvorsitzenden, Raimund Rembieliński, wofür er im August 1832 in den Ruhestand versetzt wurde.
Der Prinz, selbst evangelischen Bekenntnisses, teilte nicht die politischen Ansichten seiner Mutter. Für die kirchlichen Interessen seiner Glaubensgenossen zeigte er sich aufgeschlossen. Allerdings ging ihm das Verständnis für die Gedächtniskirche seines Großvaters ab. Das Kirchlein besaß weder einen Geistlichen noch eine Gemeinde. Einem etwaigen Verkauf der Kirche an die Evangelischen war er im Grunde genommen nicht abgeneigt, er verlangte dafür 80 000 Zł.
Deren Vertreter, A. Häbich und G. Groß, beantragten am 13. März 1835 bei der Regierungskommission des Inneren in Warschau die Bildung einer evang.-luth. Gemeinde zu Pilica für die dort ansässigen 300 Familien. Zur Begründung führten sie aus, der Besuch der Kirchen in Radom oder Warschau sei mit beschwerlichen Reisen verbunden und in Pilica selbst befinde sich zu religiösen Zwecken „nur ein Schuppen, was eigentlich einer Beleidigung der Religion und der Ehre Gottes gleichkäme‟.
Die Vertreter verhandelten auch mit dem Prinzen und dem Warschauer Generalkonsistorium. Im Namen der an der Entstehung der Pfarre Beteiligten verpflichteten sie sich zur jährlichen Zahlung eines Kirchenbeitrages von 2700 Zł wobei sie zugleich die Eingemeindung sämtlicher Evangelischen in einem Umkreis von drei Meilen vom Pfarrort vorschlugen. Indessen nahmen auch die Verhandlungen zwischen dem Konsistorium, vertreten durch den Konsistorialrat Pietrusinski, und dem Bevollmächtigten des Prinzen einen guten Verlauf, so daß am 30. Oktober 1837 vor dem Warschauer Notar Noskowski eine aus 15 Punkten bestehende sog. „Verschreibung‟ über die Konstituierung der Parochie Pilica abgefaßt wurde. Danach überließ der Prinz dem neuen Kirchspiel die von seiner Mutter 1826 zu Ehren ihres Vaters gestiftete Kapelle und 30 Morgen Ackerland „ ewige Erbpacht‟. Er behielt sich das Vokationsrecht für den zu wählenden Pastor vor. Zum Unterhalt des Pfarrers gewährte er ein Weiderecht für 8 Stück Vieh; der Kantor und der Küster durften je nur eine Kuh zur Weide bringen. Außerdem schenkte er ein Landstück von 200 Geviertruten– Teil einer Sanddüne – zum Friedhof, das der Grundherr „schön‟ einzuzäunen sich verpflichtete. An der Kapelle durften laut Vertrag keinerlei Änderungen vorgenommen werden. Das Altarbild und die Gedenktafel sollten „auf das sorgfältigste‟ behandelt werden. Die Kirchenkasse sollte wiederum für die „Verschreibung‟ einen jährlichen Erbzins von 50 Zł zahlen. Außerdem übernahm der Prinz die Verpflichtung zur Erbauung eines Pfarrhauses, Schulgebäudes und einer Küsterwohnung sowie zur Ersetzung des schadhaften Daches auf der Kapelle durch ein neues aus Zinkblech. Mit der Einlösung all dieser notariell übernommenen Verpflichtungen zögerte der Prinz, vor allem aber sein Bevollmächtigter, der Rechtsanwalt Kobyliński.
Mit dem Vertrag wurde im Jahr 1837 das Kirchspiel Pilica gegründet. Den ersten evangelischen Gottesdienst hielt hier Konsistorialrat Pastor Ludwig aus Warschau am 21. April 1838. Im Oktober des Jahres trat David Bergmann (od. Bergemann) die Pfarrstelle an. Zunächst wohnte er in einigen Zimmern des Schlosses zu Pilica in der Hoffnung, das Pfarrhaus werde bald errichtet werden. Im J. 1841 verkaufte Prinz Adam von Württemberg sein Dominium Pilica an den hohen russischen Beamten Kiwierski, der sich weigerte, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Gemeinde beschritt daher 1842 den Klageweg. Das Warschauer Ziviltribunal verurteilte Kiwierski zur Zahlung von 19.943 Zł. Infolgedessen ließ er die im Vertrag vorgesehenen Gebäude errichten. Damit endeten die Auseinandersetzungen nicht, sondern entbrannten noch mehr, als Rechtsanwalt Kobyliński selbst die Besitzungen von Pilica erwarb. Die jahrelangen Streitigkeiten mit den wechselnden Grundherren verleideten Pfarrer Bergemann die Arbeit, so daß er 1849 Pilica verließ und nach Mariampol (Marijampole) übersiedelte.
Um 1840 entwickelten die deutschen Rodebauern eine lebhafte Siedlungstätigkeit südlich der Pilica und am rechten Weichselufer im Umkreis der Stadt Garwolin. Damals bestanden Kantoratsschulen in Wladyslawow (Wola Władyslawowska), Warszowska (Warszówka), Wola Chynowska, Klementynow, Osiek, Jasienczyk, die infolge der Weiterwanderung der Deutschen um 1860 aufgelöst wurden.
Noch im Jahr 1849 kam Pastor Karl Wilhelm Hilkner, der in der Parochie bis 1887 ununterbrochen amtierte. Er Übernahm ein großes Arbeitsfeld, da er von Pilica aus das Filial Alt-Ilvesheim (Stara Iwiczna) und die vereinigten Filiale Blendow (Błędów) und Karolew zu bereisen hatte. In seine Amtszeit fällt die „Wolhynische Auswanderung‟, die sich besonders stark entvölkernd in den Dörfern südlich des Pilicastromes ausgewirkte. 1866 bestanden deutsche Kantoratsschulen in Gonzig, Warka, Watraschew, Kąty, Wicie Wschodnie, Celejowska Kämpe, Skurzawska Kämpe und Pilawa. Am Morgen des 8. September 1887 fiel Pastor Hilkner einem Mord zum Opfer. Beinahe fünf Jahre blieb die Gemeinde Pilica unbesetzt.
1892 übernahm der junge Seelsorger Heinrich Tochtermann die Pfarre. Zu seiner Zeit, im Jahr 1894, löste der Grundherr die Weidegerechtigkeit der Parochie – seit 1868 befand sich die Herrschaft Pilica im Besitz des russischen Grafen Profor – durch Zuteilung von 14 ha Ackerland ab. Pastor Heinrich Tochtermann verließ die Gemeinde 1903 und nahm die Pastorenstelle in der Gouvernementstadt Radom an. Dauernd wanderte der Bevölkerungsüberschuss dieser Gemeinde ab. Ging es bis 1890 in südöstlicher Richtung, so fanden vor dem Ersten Weltkrieg, besonders in den Nachkriegsjahren, viele Bewohner dauernde Beschäftigung in der Großstadt Warschau. Dies betraf insbesondere die Schwaben- und Niederungsdörfer.
Nachfolger von Pastor Heinrich Tochtermann wurde sein Bruder Gustav, der bis 1925 die Gemeinde betreute, von hier aus auch bis 1924 Alt-Ilvesheim bereiste. Im Jahr 1906 wurde die seit 1840 auf dem Dominium lastende Hypothekenschuld an das Kirchspiel getilgt. Die Aufstockung des Pfarrhauses mit Kosten etwa 7000 Zł bereitete Probleme.
1927 wurde Johann Winkler zum Ortspastor berufen, der dort bis 1945 blieb. Die Herrschaft Pilica besaß seit 1928 der Graf Plater-Sieberg.
Bis 1900 wurden alle Amtshandlungen in deutscher Sprache gehalten. Nach 1905 nahm der Gebrauch der Polnischen Sprache in der Gemeinde stärker zu. Vor 1939 wurden zweisprachige Gottesdienste zur Regel, d. h. es wurde deutsch und polnisch gesungen, außerdem die Liturgie deutsch und die Predigt polnisch gehalten oder umgekehrt. Ein Sechstel der Eingepfarrten war reformierten Bekenntnisses und hatte zwei Sitze im sechsgliedrigen Kirchenkollegium. Neben positiven Faktoren in der Entwicklung der Parochie — reges kirchliches Leben, Bau von Bethäusern, Abwehr von Sekten u. a. — gab es auch negative wie die ständige Abwanderung der Bevölkerung und der Abtransport der Bevölkerung im Ersten Weltkrieg. In den frostigen Tagen des Januar 1915 musste die Bevölkerung der deutschen Dörfer Haus und Hof verlassen und wurde ins Innere Rußlands abtransportiert. Das Gemeindeleben kam faktisch zum Erliegen. Gab es noch 1913 in der Gemeinde 172 Taufen, 69 Todesfälle und 29 Trauungen, so fiel 1916 die Zahl der Taufen auf 16, der Sterbefälle auf 15 und der Trauungen auf 1. Im Jahr hatte sich die Zahl wieder auf 109 Taufen, 43 deutsche und 9 polnische Konfirmanden sowie 1049 deutsche und 74 poln. Kommunikanten erholt.
Tabelle der Bevölkerungsbewegung der Gemeinde im Laufe der Jahre 1842 bis 1930. Auffallend ist der Unterschied zwischen den Jahren 1872 und 1897, was auf die Wolhynische Auswanderung zurückgeführt wird.
| Jahr | Seelenzahl | Jahr | Seelenzahl |
| 1842 | 3027 | 1897 | 2972 |
| 1857 | 2799 | 1900 | 3125 |
| 1859 | 2965 | 1902 | 3203 |
| 1864 | 3511 | 1904 | 3246 |
| 1868 | 3452 | 1924 | 3000 |
| 1872 | 3650 | 1930 | 3000 |
Die Gemeinde verfügte über eine Kirche, 5 Bethäuser, ein Pfarr- und ein Küsterhaus, sowie 3 Friedhöfe und 45 Morgen Ackerland.
Quellen:
Breyer, Albert: Das hundertjährige Bestehen der evangelischen Gemeinde Pilica (1837 – 1937), in Volksfreund-Kalender 1939, S. 174-179
Heike, Otto: 150 Jahre Schwabensiedlungen in Polen 1795 – 1945, 4. Aufl., Mönchengladbach 1991
Kneifel, Eduard: Geschichte der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, Niedermarschacht über Winsen an der Luhe 1962
Kneifel, Eduard: Die Pastoren der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen, Eging, Niederbayern 1970
Kneifel, Eduard: Die evangelisch-augsburgischen Gemeinden in Polen 1555-1939, Vierkirchen über München 1971

